Martiniritt früher
Der Miltacher Martiniritt in früherer Zeit:
Martini: „Kein Kitsch, wie heutzutage“
Die Miltacher halten an der Tradition fest.
Ein Artikel von 1913 zeigt, wie sich ihr Martini-Ritt trotzdem gewandelt hat.
(Quelle: Mittelbayerische Zeitung vom 13. November 2015)
Die Pfarrei Miltach feiert alljährlich Anfang November am, zum 11. November nächstgelegenen Samstag, das Fest ihres Kirchenpatrons Sankt Martin. Weit über das Dorf hinaus bekannt ist der Martiniritt, der Reiter und viele Besucher auch von auswärts anzieht. Zur Geschichte des Miltacher Martiniritts haben wir einen Artikel aus dem Jahr 1913 gefunden, der in der Zeitschrift „Der Heimgarten“ erschienen ist und womöglich als erster Literaturhinweis auf das örtliche Fest gesehen werden.
Mit dem Abstand eines Jahrhunderts ist es amüsant nachzulesen und zu vergleichen, wie sich der Ritt verändert und entwickelt hat. Vom Verfasser des Textes sind nur die Anfangsbuchstaben R. S. bekannt – möglicherweise Rudolf Scheibenzuber. Und hier der Text in großen Auszügen:
„Der Traunsteiner Georgi-, der Kötztinger Pfingstritt, um nur ein paar der bekanntesten Rossprozessionen zu nennen, sind schon so sehr zu Schaustellungen von Ruf geworden, dass mancher Besucher sich die Frage vorlegt, was an solchen, längst auch geschäftlich nutzbar gemachten Veranstaltungen, echt volkstümlich, wie viel dagegen in Anpassung an die Erwartungen und den Zeitgeschmack des Publikums allmählich hinzugefügt oder auch vom ursprünglichen Bestande weggelassen sein mag.
„Ritte kleineren Stiles“
Es ist daher ganz gut, dass sich abseits von solchen Paradestücken Ritte kleineren Stiles, wie die Martiniritte am 11. November, erhalten haben, die auch ohne Festprogramm und Festordner ihren ordnungsmäßigen Verlauf nehmen, da jeder Teilnehmer von den Vätern her weiß, was er zu tun und zu lassen hat.
o wenigstens ist es in Miltach im oberen Bayerischen Walde, wo man alljährlich am 11. November das Kirchenpatrozinium festlich begeht, nicht nur, indem das auch anderwärts übliche Ortskirchweihprogramm sich abwickeln lässt, sondern mit einer besonderen, dem heiligen Rittersmann Martinus zugedachten Ehrung, dem sogenannten Martiniritt.
Sachlich stimmt die Bezeichnung freilich nicht ganz, insofern es sich nicht um eine ausschließlich berittene Prozession handelt, sondern um eine gemischte, aus Fußgängern und zum kleineren Teile aus Reitern bestehende. Zum Heiligen betet man, dem Ritter zu Ehren tut man einen Ritt auf festlich geschmücktem Rosse. Mag auch der Heilige erwarten, dass alle Teilnehmer beten, der Ritter wird wohl dafür Verständnis haben, dass sein berittenes Gefolge sich im Reiten Genüge tut und das Beten dem armseligen Fußvolke überlässt.
Unmittelbar an das Amt, den festtäglichen Hauptgottesdienst, schließt sich etwa um 10 Uhr der festliche Auszug. Der Weg, den die Prozession nimmt, beschreibt außerhalb des Dorfes, zwischen diesem und der an der Straße nach Kötzting stehenden Mariahilf einen nicht zu großen Ring, der wenige Felder einschließt.
Am östlich gelegenen Wegzuge steht, für jeden Teilnehmer sichtbar, auf freiem Felde ein einfacher, weißgedeckter Tisch, der als Feldaltar dient.
Sobald ihn der Priester mit dem Sanktissimum erreicht hat, hält der ganze Zug an, jeder einzelne, wo er gerade steht, um das Johannes-Evangelium anzuhören und den Segen mit der Monstranz zu empfangen. Es mag nicht leicht sein für den amtierenden Geistlichen wie für den Chor, mit Ausdauer zu singen, während einem der herbstliche Ostwind um die Ohren pfeift und die Töne vom Munde reißt. Nur die Blechmusik, die nach dem Segen das „Großer Gott, wir loben dich“ spielt, behauptet sich im Sturme.
Mädchen tragen spätgotische Madonna
Der Zug setzt sich wieder in Bewegung, zurück zur Kirche. Das Vorrecht der Zugführung lag früher bei Schimmel und Knecht des Pfarrers zu Chamerau. Seit dieser beide abgeschafft hat, ist ein anderer berittener Kreuzträger dafür eingesprungen, der das schöne, altgeschnitzte Kruzifix führt. Ihm folgen zu zweien etwa 60 weitere Reiter, deren erstes Paar die auf hohen Stangen flatternden roten Prozessionsfahnen tragen.Die meisten Pferde tragen in Mähne und Schweif eingeflochtene kleine Papierrosetten, rosa und blau; allerhand ungewöhnliches Sattel- und Zaumzeug taucht auf, sogar eine scharlachrote Generalsschabracke mit gestickten Königskronen und handbreiten Silberrändern.
Jetzt setzt sich die ganze Kavalkade in Trab, um rasch nach dem Friedhof zu gelangen, innerhalb dessen engeren Ummauerung die Kirche langsam umritten wird. Vier Schulbuben tragen das Namenstagskind, den heiligen Martin auf einem Schimmel reitend, wie er mit dem Schwerte seinen Mantel teilt zugunsten des am Boden liegenden Bettlers. Gipsfiguren und ähnlicher Kitsch, wie er heutzutage bei derartigen Gelegenheiten oft genug sich breit macht, wagt sich hier nirgends an die Öffentlichkeit. In lobenswerter Beschränkung zeigt die Prozession vielmehr nur noch ein weiteres figürliches Werk, eine von Mädchen getragene spätgotische Madonna. In eindrucksvollen Linien umhüllt die geschnitzte Gewandung schwer und warm die himmlische Mutter. Dem nackten Kindlein, das sie trägt, haben sie heute ein blauweißes Mäntelchen umgehängt.
Die Straße schmückt sich selbst
Es folgen dann die Vereine mit lebhaft flatternden Fahnen, die Feuerwehr mit blitzenden Helmen, der Kirchenchor, Laternenträger, dann der Himmel, zeitweilig gebläht wie ein Segel, dass die vier Träger ihn nur mit Mühe dirigieren können, und darunter der von auswärts beigezogene Aushilfspriester mit dem Sanktissimum, umgeben von rotröckigen Ministranten mit Rauchfass und Zubehör; die misera plebs der vereinslosen Männer und endlich Frauen, und ganz zum Schlusse zu Pferde der Ortsgeistliche in weißem Chorrock, begleitet von drei Jubiläumsreitern, die ihre durch mehr als fünfundzwanzigmalige Teilnahme erworbenen Ehrenfähnlein mitführen. Man zieht in die Kirche ein, wo der amtierende Geistliche den letzten Segen erteilt und das Te deum anstimmt. Heute schließt sich hieran noch ein allerletzter Schlussakt, demzuliebe der Ortsgeistliche sich überhaupt beritten gemacht hat, während er in gewöhnlichen Jahrgängen mit der Monstranz unterm Himmel schreitet, ohne einen Aushilfspriester heranzuziehen. Jetzt schwingt er sich auf dem kleinen Platze vor dem Friedhofstore nochmals in den Sattel und überreicht nach kurzer Ansprache dem Spitzenreiter, dem Kreuzträger, das ihm für langjährige Teilnahme verliehene Ehrenfähnchen. Das war der Übergang zur nüchternen Alltäglichkeit. Alles geht nach Hause, die Dorfstraße sieht wieder aus wie sonst auch. Denn auf Häuserschmuck, auf Flaggen und Triumphbogen ist man hier noch nicht verfallen, die Straße schmückt sich selbst, auf der Sankt Martin einher zieht mit seinem Gefolge zu Fuß und zu Ross“.
Als der Miltacher Martinritt nachgestellt wurde
Seit nahezu 40 Jahren befindet sich in meiner Sammlung ein Foto, das ich keinem entsprechenden Anlass zuordnen konnte. Das Bild entstand in Miltach auf der Hoffläche zwischen der Alten Post und dem dazugehörenden Schlachthaus, im Hintergrund befindet sich der ganz alte Pfarrhof, erbaut 1768 als Schulhaus. Auf dem sehr scharfen Foto sind zwei Reiter mit Fähnchen zu sehen, Feuerwehrmänner mit glänzenden Helmen, ein städtisch gekleideter Herr sowie ein Mädchen mit einem weißen Kleid. Darüber hinaus viele Personen, die an diesem Sonntag mit auf dem Bild abgelichtet werden wollten.
Bemerkenswert ist die Kopfbedeckung der männlichen Teilnehmer: ausnahmslos trägt jeder von ihnen einen Hut, vom Schulbuben bis zum Großvater. Die älteren Frauen auf dem Balkon waren dagegen alle mit einem großen schwarzen Kopftuch ausgestattet, dem sogenannten "Schal". Als günstigen Standpunkt wählte der Photograf das Obergeschoss des "Bäckerkarl-Hauses", das erst im Frühjahr 2021 abgebrochen wurde. Bei dem Fotografen handelte es sich um Otto Hamsa, der in Kötzting ein Fotoatelier betrieb.
Die Erklärung zum historischen Foto erfolgte durch den Bad Kötztinger Stadtarchivar Clemens Pongratz, der mir einen Zeitungsausschnitt vom 11. Dezember 1911 zukommen ließ. In ihm hatte der damalige Berichterstatter die Szene einen Tag nach dem Ereignis in Miltach genau beschrieben.
"Miltach, 11. Dezbr. Einen sehr schönen Nachmittag hatten wir gestern dahier. Zwei eifrige Martinireiter aus Kötzting, nämlich Herr Karl Lindner, Realitätenbesitzer und Hauptmann der Reserve und Herr Franz Zitzelsberger, Grubmühlenbesitzer, hatten sich mit einer kleinen Reiterschwadron eingefunden. Es galt den hehren Moment vom 11. November heurigen Jahres, nämlich die Übergabe eines Festbandes an die beiden Herren für 25- bez. 20-jähriges Mitreiten vor versammelten Vereinen und Reitern zu wiederholen, um ihn durch eine photographische Aufnahme, auch im Bild darzustellen und auf die Dauer festzuhalten. Vor der Kapelle an der Straße wurden die Reitergäste von Miltacher Reitern, Feuerwehren und Kriegervereinen aus Miltach und Umgebung sowie von der Musikkapelle Griesbeck um 2 Uhr empfangen.
Gruppiert um unseren lieben alten "Lindnervater"
Herr Photograph Hamsa nahm zunächst den imposanten Festzug auf und sodann im Hofe des Herrn Posthalters Wieser die Festgruppe mit der Uebergabe des Bandes durch weißgekleidete Mädchen, von welchem ein Töchterchen des Herrn Postsekretärs bei der Feier ein sinnreiches Gedicht gesprochen hatte. Die Bilder werden sicher alle Beteiligten lebhaft interessieren und große Abnahme finden, denn sie sind ein überaus schönes Andenken. Nachher kamen die Teilnehmer, gruppiert um unseren lieben alten "Lindnervater", zu fröhlichem Trunke zusammen, wo in humorvollen Ansprachen und Toasten bei den Klängen der Musik die Gesinnungsverwandtschaft der Kötztinger und Miltacher (von Liebe für den Pfingstritt, hier für den Martiniritt) gefeiert wurde.
Der eifrige Vorstand der Freiwilligen Feuerwehr Miltach, Herr Schmiedemeister Christl, sammelte auch sogleich Freiwillige um sich, welche versprachen, demnächst nach Kötzting zu kommen um so den Besuch zu erwiedern. Zu rasch schlug die Stunde des Abschiedes. Und nun trabten die Kötztinger Reiter auf ihren munteren Pferden im Sternenlicht vergnügt nach Hause".
Quelle: Kötztinger Zeitung (von Erwin Vogl, Miltach)