In unserer Pfarrgemeinde vor 100 Jahren
Mit dem Expositus auf Flachskollektur
Ein Bericht über ein altes Herkommen vor genau einhundert Jahren
Als am 16. Juni 1916 Expositus Karl Holzgartner in Miltach seinen Dienst antrat, bekam das Dorf nicht nur einen neuen Seelsorger sondern auch einen unermüdlich tätigen Heimatforscher. In den folgenden acht Jahren verfasste er dann die aus heutiger Sicht äußerst wertvolle „Chronik der Expositur Miltach“. Er hinterließ damit ein unschätzbares Werk, das all die Ereignisse aus dem Pfarrbereich dokumentierte. Morgen, Sonntag,11.12.2016, sind es genau einhundert Jahre, als er über die „Flachssammlung“ schrieb. Dem Beitrag vom 11. Dezember 1916, inmitten des 1. Weltkrieges, ist viel über die Verhältnisse der damaligen Zeit zu entnehmen. Zurzeit von Expositus Holzgartner gaben die einzelnen Familien an Stelle von Flachs dem Sammler schon Bargeld.
Am 11. Dezember 1916 schrieb Holzgartner: „Schon seit meinem Hiersein hatte ich immer mit einem Gefühl des Unbehagens an die Flachskollektur gedacht, die ich hier vorzunehmen hatte. War ich doch bereits volle 13 Jahre in der Seelsorge – und hatte noch auf keinem Posten derartiges auszuführen. In Kümmersbruck war sogar die Beichtzettelsammlung dem Lehrer-Mesner allein überlassen. Ich wollte mich aber doch dieser Besuche nicht entziehen und so zog ich meine Erkundungen ein, da ich von keinem meiner Vorgänger diesbezüglich Notizen vorfand und traf meine Vorbereitungen.
Vom Händler Hörmann, Neukirchen b. Hl. Blut, bezog ich 1400 Stück Bildchen um 11,75 Mark und 5 Gro Ringe (144 Stück) um 12,10 Mark. Die so genannten Josefsringe aus Messing waren nicht mehr erhältlich, wegen Beschlagnahme dieses Metalls. Da die herkömmliche Kollekturzeit der Advent ist - die Zeit um Maria Empfängnis (8. Dez) - wobei wohl der Nachdruck auf angefangenen Advent liegt – so setzte ich mit dem langjährigen Träger Johann Nagl die zweite Adventswoche nach Sonntag, den 10.Dez., fest und verkündete es in der Kirche.
Am Montag, den 11.XII., nach dem Englamt beginnen wir, mit Bildern, Ringelein und Rosenkränzen wohl versehen, die Wanderung, wobei mich ein ganz ungewohntes Gefühl der Verlegenheit beschleichen wollte. Der Weg ging auf die Berge zu für den ersten Tag. Die Witterung war günstig: leicht gefroren und wenig Schnee. Auf dem Weg erzählte mir Nagl, dass sein Vater 36 Jahre lang mit den Cooperatoren und Expositi Kollektionen gegangen sei. Seit 1886 geht er mit, also heut zum 30. Mal. Bis vor 20 Jahren bekam der Geistliche noch Flachs. Derselbe wurde erstmals beim „Wirholm“ (Weber) Anzenberg eingestellt. Das ganze Ergebnis der Flachskollektur belief sich damals auf 1 ½ Zentner, a 40 Mark. Expositus Wendl, mein Vorgänger, verband die Flachskollektur in den letzten Jahren mit der Beichtzettelsammlung.
Der Bezirk der Flachskollektur umfasst jetzt die ganze Expositur – auch die Einöde Kolmitz von der Pfarrei Chamerau, deren Bewohner meistens in Miltach die Kirche besuchen – von der Pfarrei Moosbach die Orte: Riedhof, Eismannsberg, Eben und Untervierau. Umgekehrt gehen aber dem Expositus von Miltach 2 Kollegen ins Gäu: der H. Cooperator von Moosbach kollektiert in Heitzelsberg und der Cooperator von Blaibach kollektiert in Höhenried, Anzenberg und Heitzelsberg und zwar der letztere wegen der Wallfahrt in Weißenregen. Früher kam auch noch der Kooperator von Prackenbach nach Heitzelsberg, weil früher die Leute nach Krailing, eine Filiale von Prackenbach, in die Kirche gingen.
So begannen wir denn in Beibach auf der Reilmühle und gingen dann den Berg hinauf zum Eckl-Lippert und nach Höhenried. Die Aufnahme war überall freundlich und so stieg mein Mut. Als wir gegen Anzenberg marschierten, begann es zu regnen und schneien. In Anzenberg besuchte ich kurz den alten Haller (Bergbauer), der im Sterben lag.
Nach Heitzelsberg kamen wir gegen ½ 12 Uhr, bestellten bei der Wirtsmutter das Essen und gingen dann noch nach dem abgelegenen Auwies. Das Essen war für die Kriegszeit ausgezeichnet, Suppe mit Ei und Semmelschnitten, Schaffleisch (sehr weich) mit Kartoffelsalat, Schweinebraten mit Kraut u. dazu 2 Halbe Bier – alles umsonst – anstatt einer Gabe. Dann ging es nach Rabenhof, Dietershof, Eismannsberg, Eben, Riedhof u. Untervierau: in allen Häusern viel Jammer wegen des Krieges. Hier Leutemangel, dort ein Sohn gefallen, hier der Vater vermisst, der Bruder in Gefangenschaft und so fort und überall die Frage: „Herr Expositus, wie lange wird der Krieg noch dauern? Meinens nöt, daß vor Weihnachten noch Frieden wird?“
Interessant war es auch zu beobachten wie die Leute sich jetzt beschäftigen: Holzschuhmachen, Besenbinden, Kirmzäunen; die Frauen beschäftigen sich jetzt wieder am Spinnrad, das sie aus der Rumpelkammer hervorgeholt haben. Ich traf ziemlich viele Spinnerinnen. Die Leinwand ist jetzt kostbar: der Zentner vollkommen hergerichteter Flachs soll um 185 Mark bezahlt werden. Die meisten sagten aber, sie wollen ihn selbst behalten, da das Gekaufte teuer und schlecht ist, teilweise überhaupt nicht mehr zu bekommen. Auf die Spuren der Lebensmittelnot stießen wir auch in einem Hause, wo kurz zuvor die Behörden eine Haussuchung vornehmen hatten lassen. Das Anwesen besaß 4 Kühe und lieferte keine Butter ab.
Der zweite Tag führte uns nach Berghäusl, Kolmitz, Flammried, Oberndorf, wo wir beim Wirt Schluss machten. Wege schmutzig, Wetter gut.
Der 3. Tag war für Miltach bestimmt. Es regnete unaufhörlich und zwar ausgiebig. Die vielen Häuslein machten hier die Kollektur anstrengend. Nachmittags stiegen wir zur Hütten hinan und Schluss machten wir in der Bahnhofswirtschaft. Meinem Träger gab ich 8 Mark als Lohn und hielt ihn zechfrei. Er sagte, das sei seine herkömmliche Entlohnung gewesen: 7 – 9 Mark. Manche Expositi hätten ihm auch das Essen gegeben.
13.12.1916 - Jetzt, nachdem die Prozedur vorbei ist, kommt sie mir nicht mehr so schrecklich vor. Die Leute waren durchaus freundlich – sie finden es ganz selbstverständlich – besonders zeigten die Kinder großen Eifer auf die Ringlein u. Bildchen. Jedes bekam 2 Ringlein. Rosenkränze verteilte ich nicht nur dort, wo man mir 3 oder mehr Mark schenkte. Ich habe Vorstehendes zur Orientierung für einen Herrn Nachfolger geschrieben und auch deswegen, weil das Ganze wohl ein kulturhistorisches Interesse bietet. Ich habe so auf schnelle Weise meine Expositurangehörigen kennen gelernt u. gesehen, dass die Leute von ihrem Seelsorger ein ungeheucheltes Interesse haben, besonders auf den Bergen; Ausnahmen gibt es ja wohl. Auf jeden Fall ist das Interesse größer als in der Expositur Kümmersbruck, wo die meisten Gutgesinnten nach Amberg in die Kirche gehen – nur Sozi u. Indifferenten nirgends hin“.
Text und Bild: Erwin Vogl, Miltach
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